Ich denke, also bin ich nicht.
3. Oktober 2017DAS BESTE GEFÜHL DER WELT.
10. April 2018Es ist Montag, der 4. Dezember 2017, ich lande nach einer traumhaft schönen Reise durch Thailand am Flughafen von Wien.
Trotzdem lächle ich nicht. Mein Gesicht hat eigentlich gar keinen Ausdruck mehr, es vergräbt sich im Pullover meines Freundes, der mich stützt und hält.
‚Du glühst’, sagt er immer wieder, und ich kann es nicht verstehen, weil ich doch kurz vorm Erfrieren bin! Ich schließe die Augen und denke an meine Mama, früher im Winter war mir manchmal auch so kalt. ‚Du hast Schüttelfrost, Tini’, höre ich sie sagen, aber sie ist nicht da. Wo bin ich eigentlich gerade? Ich begreife gar nichts mehr. Fremde Gesichter beugen sich über mich, Rettungssanitäter erklären mir, dass ich gefährlich hohes Fieber habe. Etwas wird in mein Ohr gesteckt, es piepst. ‚40,4 Grad!‘ ruft jemand, und dann geht alles ganz schnell.
Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich auf einem Bildschirm meine Herztöne lustig auf und ab hüpfen, eine Sauerstoffmaske pustet mir frischen Wind in Mund und Nase. EKG, Notaufnahme, echt jetzt?
Alles wirkt wie aus einer schlechten Krankenhausserie, fehlt nur noch, dass einer ‚Herzalarm, wir verlieren sie!‘ brüllt. Fast muss ich kichern über Grey’s Anatomy 2.0, sogar einen McDreamy gibt es, allerdings hat er blonde Locken. Er wirkt ernst und hat sicher Ahnung, bestimmt, gleich darf ich heimgehen, ich muss dann noch meinen feuchten Bikini aus dem Rucksack holen!
Ärzte und Pfleger reden schnell und durcheinander, es ist ungewohnt, wieder jemanden deutsch sprechen zu hören. Irgendetwas erinnert mich trotzdem an Asien, achja, alle tragen Mundschutz, wieso eigentlich? McDreamy erklärt mir, dass ich hochansteckend bin und meine Sauerstoffsättigung im Keller ist. Hm, wahrscheinlich keine gute Situation, um ihn anzumachen.
Ich bekomme Infusionen und gleichzeitig Blut abgenommen, linker Arm, rechter Arm, alles ist mir komplett egal, wo ist meine Angst vor Nadeln hin?
Tropf, tropf, tropf, meine Augen sind plötzlich schwer wie Blei, ich muss sie einfach zumachen.
Als ich blinzle, ist der Raum verändert. Wie spät ist es? Schläuche und Kabel hindern mich am Aufsitzen. Ich fühle mich besser und kann wieder denken, die haben mir echt gutes Zeug gegeben!
McDreamy ist weg, dafür sind zwei andere Ärzte da und eine Krankenschwester mit katzengrünen Augen. Darf man jetzt überhaupt noch Krankenschwester sagen? Später frag ich nach, gerade hab ich keinen Kopf für political correctness, was stimmt denn nur nicht mit mir?!
‚Sie haben einen Keim’, erklären mir die Augenpaare, ‚und wir tun jetzt alles, um schnell zu erfahren, welcher das ist.‘
Ich nicke und lächle, klar, die machen das sicher, es geht mir ja jetzt schon viel besser als noch vor ein paar Stunden, ehrlich! Keiner antwortet, keiner lächelt hinter seiner Maske.
Bald darauf lässt die magische Wirkung der Infusion nach und mein Fieber feiert sich in Rekordgeschwindigkeit wieder bis über den 40er hinaus. Jetzt ist es soweit, das sind die schlimmsten Schmerzen meines bisherigen Lebens! Zum ersten Mal bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das hier überlebe. Dass es ab jetzt fünf Tage so gehen wird, weiß ich noch nicht.
‚Hallo Christina, wir müssen wieder… Faust machen, bitte.‘ Meine Armbeugen leuchten in blau und grün, langsam wird es mühsam, eine heile Stelle zum Stechen zu finden. Drei Mal täglich wird Blut abgenommen und ins Labor geschickt, einmal vor der Antibiotikainfusion, einmal danach, jeden Morgen. Meine Venen brennen wie Feuer, Tränen laufen mir unkontrolliert über die Wangen und bleiben im Nacken kleben, von den Medikamenten ist mir kotzübel. 48 Stunden schon, verdammt, wieso geht es mir nicht längst viel besser?!
Mittwochabend schwingt die Tür auf, ich höre lateinische Wörter, endlich, die Diagnose! Der Bakterienstamm ist eindeutig ermittelt. Direktimport aus Thailand, selten, soso, vermutlich übertragen durch unsauberes Obst (wieso wieso wieso hast du diesen Fruitshake am letzten Abend noch getrunken?!) oder Tiere (vielleicht über eine Katze, oder womöglich war es der kleine Hund, den ich kurz gestreichelt habe?). Und dann: ‚Der Keim ist resistent, das macht ihn so außergewöhnlich. Unsere Antibiotika sind wirkungslos dagegen, darum geht‘s Ihnen noch so schlecht.‘ Ja, nein, is klar. Das kann doch alles nur ein Witz sein! Langsam wird mir dieser Scheiß zu spannend, echt, ich mag nicht mehr.
An dem Abend erreicht mein Fieber seinen Höhepunkt, ich zittere und friere, ok doch, ich mag doch noch, bitte, ich mag leben!
Wir stehen also alleine im Ring gegen diesen Dreckskeim. Wir, mein Körper, sein Immunsystem und mein Waschlappen von Geist, ab jetzt noch unterstützt von Schmerzmittel- und Flüssigkeitsinfusionen. ‚Es tut so weh, ich halt das nicht mehr aus!‘, weint mein Kopf. ‚Halt den Mund, du Witzfigur! Du musst nicht mal was tun, die ganze Arbeit mach eh ich!‘ ‚Aber es tut so weh!‘
‚Mimimimi!‘ Mein Körper hat kein Mitleid. ‚Solang es weh tut, sind wir am Leben! Jetzt reiß dich gefälligst zusammen, ein bisschen positiver Spirit aus deinem Oberstübchen würd mir nämlich echt helfen!‘
Es ist Samstag, der 9. Dezember, Tag 6, heute geht es uns erstmals deutlich besser. Das Fieber ist gesunken, die Entzündungswerte sind eine ganze Spur zurückgegangen. Der Kopf himmelt den Körper inzwischen an und sagt ihm in einer Tour, wie toll er ist. Der Körper schweigt heldenhaft und ein bisschen arrogant, er ist inzwischen auch komplett erschöpft.
Ab jetzt schlafe ich viel, nur manchmal weckt mich ein Kopfstreicheln und jemand flüstert: ‚Ich muss nur schnell Fiebermessen und Blutabnehmen’ oder ‚Trinken nicht vergessen…‘.
Ob ich bald heim darf? Verständnislose Blicke. Nein, so übertrieben gut geht’s dann doch noch nicht. Weiterhin Quarantäne. Weiterhin Flüssigkeitsinfusionen. Tägliche Blutbildkontrolle, das muss schon noch länger sein.
Ich vermisse mein süßes Pferd, meine Freunde und die Arbeit, aber am meisten fehlt mir mein Freund. Die letzten Wochen habe ich Tag und Nacht jede Minute mit ihm verbracht, jetzt darf er mich nur einmal täglich besuchen und muss Abstand halten.
Es ist Montag, der 11. Dezember, ich kann schon wieder ein bisschen jammern. ‚Heuer hab ich noch nicht einmal ein Weihnachtslied gehört oder einen Keks gegessen…‘
‚Aber dafür hast du das Schlimmste geschafft und wirst Weihnachten noch erleben’, tröstet mich die liebste Krankenpflegerin der Welt.
‚Ich wär also wirklich fast gestorben?‘
Sie lächelt. ,Nein, soweit waren wir nicht. Du bist gleich erstversorgt worden und wir leben in Österreich, Ende 2017 und nicht 1815. Aber besonders lustig fanden wir das Ganze auch nicht. Wenn deine körpereigene Abwehr nicht so gut funktioniert hätte… aber das hat sie ja. Dein Immunsystem ist spitze, Topleistung bis jetzt! Das feiern wir mit einem festen Frühstück, hast du Appetit?‘
‚Nein, mir wird schon schlecht wenn ich es nur seh.‘
‚Wunderbar, dann wird‘s dich freuen, dass ich dich heute zum Essen zwinge! Wie war Thailand eigentlich sonst so?‘
‚Unbeschreiblich. Schön. Fast nicht zum Kapieren.‘
‚Fein. Kakao oder Tee, kannst du dir aussuchen. Und, willst du nach dieser Geschichte nochmal nach Asien?‘
‚Kakao, bitte. Auf jeden Fall! Und nach Indien. Aber vorher will ich mal nach Hause.‘