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Hast du den schönsten Augenblick deines Lebens schon erlebt?
2. Juni 2015Neulich traf ich die Tochter einer Bekannten beim Einkaufen. Sie ist 14 Jahre alt und auf ihren Wunsch meine Facebook-Freundin und followerin auf Instagram. Warum weiß ich nicht genau, im echten Leben scheint sie nämlich kein allzu großer Fan von mir zu sein.
Egal wann und unter welchen Umständen- mehr als ein knappes ‚Hallo’ und ein scheues Lächeln vermag ich ihr nicht zu entlocken. Man könnte meinen, dass sie mich womöglich doch nicht so mag oder einfach sehr schüchtern ist, aber weder das eine noch das andere erzählt mir ihr Facebook-Profil. Ja, es ist wirklich dasselbe Mädchen, das für sein Profilfoto knapp bekleidet vorm Spiegel posiert und eine kecke Schnute zieht, Statusmeldungen à la „stand up for your right“, „love me or hate me!“ postet und regelmäßig unter meinen Fotos Smileys und Herzchen hinterlässt. Dieses Mädchen steht im echten Leben vor mir und schafft es nicht mir in die Augen zu schauen, ohne peinlich berührt zu sein. Da frage ich mich schon manchmal ganz obergluckenhaft wie es die ab 1999 Geborenen schaffen werden, sich trotz Facebook, Twitter und Instagram eine Persönlichkeit aufzubauen. Um es gleich vorweg zu klären: Ich gehöre nicht zu der nörgelnden Masse, die ‚früher’ automatisch mit ‚besser’ gleichsetzt. Im Gegenteil, ich liiebe social media und sämtliche Vorteile, die es bietet.
Aber es verhält sich wie mit dem Taschenrechner: Man möchte ihn zwar nicht missen, ist aber froh auch das Kopfrechnen zu beherrschen, da man andernfalls in vielen Lebenslagen wie der letzte Trottel dastehen würde.
Und ich kann mir vorstellen dass sich die Tochter meiner Bekannten auch so fühlt, wenn sie hinter ihrem sorgfältig gebastelten Profil hervorkommen und mir im Supermarkt für einseitigen (meinseitigen) Smalltalk gegenüberstehen muss.
Diese zehn Jahre jüngeren Menschen und ich sind uns irgendwie fremd. Es verbindet uns zwar die Suche nach uns selbst, der Weg ist aber ein anderer.
Meine Freunde und Geschwister – die zwischen ungefähr 1983 und 1990 Geborenen – sind die wohl letzte Generation Stammbuch. Wir führten Brieffreundschaften, telefonierten stundenlang über das Festnetztelefon und lasen in Fachbüchern für das bevorstehende Referat. Fotos vom Schulausflug wurden nicht nachbearbeitet sondern entwickelt, ein Profil der eigenen Person konnte man nur in den Köpfen seiner Freunde erstellen und hoffentlich würde es so ausfallen wie man es gerne hätte. Dabei half uns kein Foto-Filter, sondern einzig und allein unsere Persönlichkeit. Ein Kompliment mussten wir aussprechen und das erforderte mehr Überlegung als der Klick auf den Gefällt-Mir-Button.
Für unsere Darstellung mussten wir rausgehen, für ein nachhaltiges Image benötigte es mehr als ein hübsches Profilfoto und ein geklautes Zitat. Wir lernten entweder ,uns zu artikulieren und unsere Meinung vor anderen kund zu tun und wurden ernst genommen, oder eben nicht und wir ertrugen die Blamage. Manchmal auch beides zur gleichen Zeit. Es gab keinen Jahrmarkt der Selbstinszenierung, 24 Stunden online, und in Konversationen fanden wir einen Weg, unangenehmes Schweigen zu umgehen oder damit umzugehen, anstatt nervös unsere Smartphones rauszufischen um mal schnell die Neuigkeiten zu checken.
Achja, checken.. Wir sprachen viel miteinander und taten dies bevorzugt auf Deutsch. Niemand hätte lässig erwähnt, dass er seine Turnstunde „survived“ hat oder jetzt dann mal seinen „ride“ nach irgendwohin startet. Englisches Gelaber war in erster Linie Austauschschülern vorbehalten.
Hipster? Nein, den letzten Friseurtermin verschnarcht. Retro? Hm, es ist das ausgewaschene Hemd vom großen Bruder. Nerd-Brille? Kassengestell, Oida!
Man musste auch nicht grübeln, wer ‚Mi Kita’ sein könnte und wieso die oder der mit einem befreundet sein möchte; Mi Kita hätte sich nämlich mit echtem Namen bei uns vorgestellt und entweder wir wurden Freunde oder eben nicht. Wenn man es nicht wollte musste man die Eier haben das auch zu sagen oder wenigstens deutlich genug zu zeigen, nix mit „Freundschaftsanfrage ablehnen“. Wir erfuhren von der neuen Freundin des Verflossenen über unsere beste Freundin, die es uns schonender beibrachte als die Startseite auf facebook: Michael hat heute Geburtstag, Katrin H. ist jetzt mit Tom L. befreundet und achja, hier ist das schönste Kussfoto deines Exfreundes!
Wir haben alleine oder in unser Tagebuch geweint, es wäre uns nicht in den Sinn gekommen unser Gefühlsleben vor 500 weiteren Personen breit zu treten.
Wir lernten von Momenten zu zehren, nie wieder abrufbare Bilder in unseren Köpfen zu speichern, Gedanken und Worte bis zum nächsten Wiedersehen in uns zu behalten.
Und heute? Wir lesen nicht mehr, wir überfliegen, filtern und schnappen auf, sehen und urteilen, oftmals vorschnell, liken – einen Link, eine Überschrift, ein Tweet. Unmengen an Informationen prasseln durch unterschiedlichste Medien täglich auf uns ein und wollen verarbeitet werden. Aber wir können nicht nur nicht mehr anders, wir wollen auch nicht mehr anders. Also nein, ich teile die einseitige Betrachtungsweise, dass man keine Zeit mit Social Netwerks verbringen und stattdessen „lieber rausgehen und Spaß haben“ sollte, nicht. Ich werde weiterhin das eine sowie das andere tun: Posten, meistens auf deutsch, manchmal auf englisch, sharen, wenn ich ein bisschen angeben möchte, liken, wenn mir etwas gefällt. Um dem Gelikten im Anschluss auch noch persönlich zu sagen wie sehr mir das gesharte gefallen hat. Und ich werde nicht aufhören, schöne Urlaubsbilder zu teilen, – wohlwissend, den Moment vor und nach dem Schnappschuss ausgiebig und lange genossen zu haben.
Facebook, Instagram, Twitter und Co. können das reale soziale Leben durchaus bereichern. Vorausgesetzt, dass es dieses Leben schon vorher gab und daneben gibt, dazwischen und danach. Und dass man von Grund auf gelernt hat, darin zu surfen und auch die richtig steilen Wellen zu nehmen weiß, bevor man sich in die social media-Gewässer stürzt.
Jede Generation hat ihre Herausforderungen. Eine unserer ist es, diese Gratwanderung zu bestehen.