Mord und Ratschlag
8. Juni 2017PAUSCHOSOPHIE
26. Juli 2017„Moment, das Video muss ich dir schnell zeigen …“
„Nein danke, ich habe heute meinen Entgiftungstag.“
Meine Freundin Mia lässt ihr Smartphone sinken und sieht mich entsetzt an.
„Bitte nicht. Detox-Entgiftung, Saft-Kur?“
Ich schüttle den Kopf so heftig wie ein leidenschaftlicher Barkeeper den Martini.
Bei meiner Entschlackung geht es weder um Alkohol noch um Zucker, Gluten oder andere Genussmittel, die das Leben unterhaltsamer machen, sondern um Social Media.
„Ich mache einen handyfreien Tag, meine Liebe. 24 Stunden ohne Instagram, Facebook, WhatsApp und ohne Snapchat.“
„Ach komm.“ Meine Freundin ist unbeeindruckt. „Du bist doch gar nicht auf Snapchat.“
Ganz recht. Und zwar weil sich inzwischen sowieso jede meiner Apps wie auf wundersame Weise in Snapchat verwandelt hat- auf meinem Smartphone sind mehr Stories im Umlauf als auf einer Teenager-Pyjamaparty!
Es ist immer noch das Big Thing: Marianne zeigt mir mit dem crazy Boomerang-Effekt, dass sie sich heute Früh einen Chiasamen-Pudding gemacht hat, ein verzweifelter Hilfeschrei kommt von Benedikt aus der Umkleidekabine bei H&M – soll er jetzt das grüne oder doch das blaue Rudershirt nehmen? – und dann noch die fünfzehn Gym-Selfies meiner fitnessfanatischen Großcousine mit dem Hinweis auf ihr Muskelwachstum – Hashtag girlswithmuscle, Hashtag gotoyourlimits – es ist mir einfach alles zu viel! Hashtag itmakesmedizzyinmycoconut! Ich komme ja gar nicht mehr dazu, die Likes unter meinen eigenen Fotos zu zählen und mir unsinnige Kommentare für Postings zu überlegen, so sehr werde ich von Hashtags und Stories vereinnahmt!
Fehlt nur noch, dass meine Bibi-Blocksberg-Folge zum Einschlafen von unserer ehemaligen Jungscharleiterin unterbrochen wird, die mit Hundeschnauzen-Filter auf dem Bildschirm auftaucht und mich darüber informiert, dass sie jetzt ihre Yogaübungen macht.
Es interessiert mich nicht, okay Andrea? Mein Hörspiel ist mein Yoga, also Namasté!
Mein erstes Social-Media-Burnout ist gekommen! Ich verlinke feierlich alle Stimmen in meinem Kopf!
Ja, tatsächlich vermisse ich manchmal ein bisschen die Zeiten als die Rautetaste dazu da war um die Anrufbeantwortereinstellungen zu speichern und mit ‚Story’ noch eine echte Geschichte aus dem echten Leben gemeint war, fesselnd erzählt von einem echten Mund.
Toll, jetzt klinge ich wie eine unanständige Pensionistin beim wöchentlichen Frisörtermin.
„Du wirkst so gestresst.“ Mia sieht mich besorgt an. „Lad dir doch die Entspannungs-App ‚Easy relaxt in zwei Minuten’ runter. Da meditierst du zusammen mit einer Bloggerin aus Florenz, Karlini Parmesini, Beauty-Guru und aufstrebende Golferin, die hat mit ihren neunzehn Jahren eine Lebensgeschichte hinter sich, das glaubst du nicht..!“
„Mia, bitte sag mir dass du mich verarschst.“
„Na klar, ist auch nicht schwer! Los jetzt, dann gehen wir halt ein Eis essen, Sorte Eierlikör und im Becher. Das mögen alte Leutchen wie du doch gern, oder?“